Jahrestagung 2019

Bericht vom 27. Jahrestreffen der „Gemeinschaft Evangelischer Zisterzienser-Erben“ vom 5. bis 8. Mai 2019 im Kloster Helfta

Nur gut 100 Jahre hat das Zisterzienserinnenkloster St. Marien in Helfta bei Eisleben bestanden: von 1258 bis zur Verwüstung durch den Herzog von Braunschweig im Jahr 1343 und dann noch einmal von 1525 bis zur Säkularisierung des Klosters 1542. Trotzdem wurde es zu einem berühmten Ort mittelalterlicher Mystik.

Drei heilige Frauen prägten in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts seinen Ruf. Inzwischen ist es wieder aufgebaut, und seit genau 20 Jahren lebt hier ein zisterziensischer Frauenkonvent. Die Gemeinschaft der evangelischen Zisterziensererben ließ sich sehr gerne nach Helfta einladen. Die Tagung vom 5. bis 8. Mai griff das vom Ort vorgegebene Thema „Mystik“ in großer ökumenischer Weite auf. Um dessen Aktualität zu markieren, wurde mehrfach das Diktum von Karl Rahner zitiert: „Der Christ der Zukunft wird ein ‚Mystiker‘ sein, einer, der etwas ‚erfahren‘ hat, oder er wird nicht mehr sein.“ An den Gottesdienst und Stundengebeten, Vorträgen und Führungen der Tagung nahmen wieder etwa 120 Menschen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz teil.

Der Eröffnungsgottesdienst in der Petrikirche von Eisleben stellte einerseits ökumenische Bezüge in den Mittelpunkt, andererseits auch Aspekte der kirchlichen Situation im Osten Deutschlands. Leitendes Thema war – in der Taufkirche Martin Luthers – die Tauferinnerung. Dass wir getauft sind, verbindet die Christinnen und Christen aller Konfessionen; und die Taufe ist das Sakrament der Mission, der Zuwendung Jesu Christi zu Menschen, die das Evangelium ganz neu anspricht und die es aufnehmen. Es predigte der römisch-katholische Bischof Gerhard Feige aus Erfurt, Vorsitzender der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz. Mit Paulus rief er dazu auf, gerade in nachchristlichen Gesellschaften zum Glauben und christlicher Hoffnung zu stehen: „Österliche Menschen leben in Zuversicht und stellen sich mutig der Gegenwart.“ Hoffnung bedeute auch, „das Unglaubliche zu glauben“. Sowohl mit einer liturgischen Handlung im Gottesdienst als auch bei den Grußworten im daran anschließenden Empfang wurde die Erinnerung an die Taufe hervorgehoben und zu einem vielfältigen, frohen Christuszeugnis ermutigt. Die Subpriorin von Kloster Helfta, Sr. Klara Maria, und die Eislebener Oberbürgermeisterin Jutta Fischer stellten auch die Neugründung des Klosters im Jahr 1999 in diesen Zusammenhang. Die Folge wissenschaftlicher Vorträge eröffnete Professorin Cornelia Richter (Bonn) mit einer Erinnerung an die große Theologin und Kämpferin Dorothee Sölle (1929-2003): „Mystik und Politik“. Sölle habe für eine „radikale Immanenz Gottes“ plädiert. Bei klarer Ablehnung sowohl einer „orthodoxen“ als auch einer liberalen evangelischen Theologie habe sie – im Anschluss an den jüdischen Philosophen Martin Buber – Gott ganz als Beziehung gedacht: „Du brauchst Gott, aber Gott braucht Dich auch.“ Mit ihrer Poesie und mit politischen Kampagnen hat Sölle sich zeit ihres Lebens für einen derart erfahrungs- und weltbezogenen Glauben eingesetzt.

Sr. Klara Maria stellte den Teilnehmenden die intensive Glaubenserfahrung der drei großen Mystikerinnen von Helfta vor Augen. Ihre mystischen Schriften seien aus dem klösterlichen Leben erwachsen mit seinen täglichen Zeiten von Anbetung, Gebet und Schriftbetrachtung. Gertrud von Helfta (1256-1303), ihre geistliche Begleiterin Mechthild von Hackeborn (1241-1299) und Mechthild von Magdeburg, eine ehemalige Begine (1207-1282), hätten alle lange geschwiegen über ihre besonderen geistlichen Erfahrungen. Zum Teil hätten dann andere Frauen ihre Visionen aufgeschrieben: „Mystik ist nie individualistisch.“ Eine innige Beziehung zu Christus gehöre dazu und eine große Freude und Dankbarkeit für die Schöpfung und das eigene Leben. Die gemeinsame Haltung der drei heiligen Frauen von Helfta kennzeichne es, sich Gott ganz zuzuwenden und sich ihm zu öffnen: „Vor dir steht die leere Schale meiner Sehnsucht.“ (Gertrud von Helfta) Im dritten Vortrag schilderte Prof. Peter Zimmerling (Leipzig) Martin Luther als „Vater der evangelischen Mystik“. Dieser habe mystische Schriften sehr verehrt, ob die spätmittelalterliche „Theologia deutsch“ oder die Werke des Bernhard von Clairvaux. Eigene Gotteserfahrungen Luthers beschrieb Zimmerling als mystisch, so v.a. seine Erkenntnis der Rechtfertigung allein aus Gnaden. Dabei habe Luther eine „elitäre“ Mystik immer abgelehnt, diese vielmehr „demokratisiert“. Tiefe geistliche Erfahrungen kämen aus alltäglichen Glaubensvollzügen wie dem Beten oder dem Hören der Predigt. Für alle Christen sei Gott „ein glühender Backofen voll Liebe“. Auch mystisches Erleben biete keine unmittelbare, sondern immer eine „vermittelte Unmittelbarkeit“ zu Gott (K. Rahner). Insofern schließe es alle Glaubenserfahrung ein, die nicht in abstrakten Kriterien geschildert werde, sondern in einfühlenden Bildern und einer Beziehung zu Gott als lebendigem „Du“. Die Abfolge der Vorträge wurde immer wieder unterbrochen durch aktuelle Bezugnahmen. So führten mehrere Schwestern durch die Klosteranlage. Dabei wurde auch die besondere Verehrung der Helftaer Mystikerinnen in Lateinamerika deutlich, v.a. in der modern gestalteten Gertrudkapelle.

Die „Soziale und kirchliche Situation“ im stark säkularisierten Thüringen wurde in den Blick genommen (Pfarrerrin Iris Hellmich, Eisleben). Pfarrer Heiner Urmoneit schilderte „Erfahrungen mit Luthers Taufkirche“. In dem und um das große Taufbecken, das 2012 vor dem Altar in den Fußboden eingelassen wurde, sei eine vielfältige Taufpraxis entstanden. Schließlich gab es auch, wie bei den evangelischen Zisterziensererben üblich, eine Runde von Berichten aus den einzelnen Klosterorten und Gemeinschaften.

Am Ende wurde angemessen großer Dank an die Gastgebenden und das Vorbereitungsteam um Pfr. Axel Lundbeck ausgesprochen und zur Tagung 2020 nach Lehnin (Brandenburg) eingeladen. Beim „Abend der Gemeinschaft“ rundeten kurze Schlaglichter auf mystische Bezüge im Evangelischen Gesangbuch die Tagung thematisch ab. Besonders Advents- und Weihnachtslieder kamen da vor: „Es kommt ein Schiff geladen“ und „Ich steh an deiner Krippen hier“. Und nicht zuletzt der für mich eindrucksvollste Gesang evangelischer Mystik von Gerhard Tersteegen, „Gott ist gegenwärtig“: „Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten: Lass mich so, still und froh, deine Strahlen fassen und dich wirken lassen.“

Dr. Ulrich Schindler, Heilsbronn