Jahrestagung 2018

Bericht vom 26. Jahrestreffen der „Gemeinschaft Evangelischer Zisterzienser-Erben“
vom 22. bis 25. April 2018 in Arnsburg

In der Wetterau südlich von Gießen traf sich die Gemeinschaft in ihrem 26. Jahr zum ersten Mal. Das Kloster Arnsburg in der Nähe der Stadt Lich hatte von 1197 bis zum Reichsdeputationshauptschluss 1803 bestanden. Von der riesigen Klosterkirche stehen aber nur noch die mächtigen Wände. In dieser Ruine und dem Dormitorium versammelten sich über 120 Gäste und Einheimische zu Gottesdienst und Stundengebeten, Vorträgen und Führungen. Ein Ausflug zur Komturei des Johanniterordens nach Nieder-Weisel rundete die Tagung ab.

Der Pflege des klösterlichen Erinnerungsortes widmet sich schon seit 1959 der „Freundeskreis Kloster Arnsburg“. Der Eigentümer, Graf zu Solms-Laubach, unterstützt ihn dabei. Erst in den letzten Jahren wurden die hohen Kirchenmauern von Efeu- und Baumbewuchs befreit. Die Initiative, die „Zisterziensererben“ hierher zu holen, ging von zwei Personen aus: dem mit der Betreuung und geistlichen Angeboten betrauten Pfarrer Manfred Wenzel und Frau Ruth v. Förster-Kamlah, die seit langem an den Tagungen der Gemeinschaft teilnimmt. Mit Hilfe eines kleinen ehrenamtlichen Teams und v.a. des Organisationskreises ermöglichten die beiden ein ausgewogenes und interessantes Programm von Vorträgen, vielfältigen Mahlzeiten und den strukturierenden Gebeten.

Im Eröffnungsgottesdienst predigte Ulrike Scherf, die Stellvertretende Kirchenpräsidentin von Hessen-Nassau, über das „Bleiben in Christus“. Dazu gehören „festhalten und erneuern“ – Erinnerung und Tradition pflegen und das Evangelium in die heutige Wirklichkeit hinein bezeugen, z.B. gegenüber den aktuellen Infragestellungen der Sonntagsheiligung. Der Posaunenchor aus Lich gestaltete den Gottesdienst festlich aus.Beim anschließenden Empfang der EKHN sprachen hochrangige Politiker. Dr. Lösel, Staatssekretär im hessischen Kultusministerium, überbrachte Grüße von Ministerpräsident Bouffier. Regierungspräsident Dr. Ulrich aus Gießen begrüßte die Gäste in der Region Mittelhessen. Die Arbeit des Freundeskreises Arnsburg wurde vorgestellt. Der zuständige Propst Matthias Schmidt dankte Frau v. Förster-Kamlah und Pfarrer Wenzel und richtete Grüße des Grafen zu Solms-Laubach aus.

„Memoria“, lebendige Erinnerung: Im Hintergrund fast aller Vorträge, Stundengebete und Führungen klang dieses heimliche Thema der Tagung an. Oliver Peters, Familiare des Klosters Amelungsborn, sprach es bei der Einführung in die klösterlichen Tagzeitengebete ganz direkt an. Die Gebete tragen und explizieren geistliche Erinnerung in verschiedenen Dimensionen: Wir halten inne auf dem Weg durch die Zeit. Wir vergegenwärtigen über den Tag verteilt das Geschehen von Geburt, Kreuz und Auferstehung Christi; so sind die Stundengebete ein “Herrenjahr im Kleinen“. Die Memoria für das alttestamentliche Gottesvolk wird wach gehalten. Unsere Lebenszeit wird gesegnet und qualifiziert als „Zeit, die Christus gehört“.

Historische Erinnerung an die Glanz- und Verfallszeiten von Kloster Arnsburg wurden in einem Vortrag und bei Führungen über das Gelände weitergegeben. Nach dem Baubeginn 1157 wurde das Kloster 1197 mit Mönchen aus Eberbach am Rhein besiedelt. Zu Ende des 14. Jahrhunderts hatte es Grundbesitz in 270 Orten. Es überdauerte die hessische Reformation durch Philipp den Großen und den 30-jährigen Krieg. Im Barock erlebte es eine letzte Hoch-Zeit, wie an einigen Wirtschaftsgebäuden bis heute zu erkennen ist. Mit der Säkularisation 1803 war es dem Verfall preisgegeben. Die „Paradies“-Kapelle wurde zu einem Schafstall. Heute ist sie schön renoviert und wird als „Kirche bei Gelegenheit“ genutzt: zu Konzerten, Taizé-Gottesdiensten und für Trauungen. In der Kirchenruine findet zu Pfingsten ein Gottesdienst im Freien statt. Nachdem sich die Zisterziensererben 2017 dem Thema „Klöster und Reformation“ gewidmet hatten, gab es diesmal einen Rückblick auf das Jubiläumsjahr. Es berichtete die „Botschafterin des Rates der EKD“, Altbischöfin und Professorin Dr. Margot Käßmann. Zu ihrem Vortrag hatte sich die Zahl der Besuchern/innen im Auditorium verdoppelt. Sie stellte die ökumenische Ausrichtung des Jubiläums als dessen besonderen Ertrag heraus. Dahinter, so Käßmann, „können wir auch künftig nicht mehr zurück“. Als Herausforderungen für die kommenden Jahre benannte sie: Wie werden und bleiben wir sprachfähig mit unserem Glaubenszeugnis in Zeiten weiter zunehmender Säkularisierung? Wie kann sich das Verhältnis von Frauen und Männern in den Kirchen weiterentwickeln, auch z.B. in der südlichen Hemisphäre? Luther hat mit seinem Lob des christlichen Lebens im ehelichen und bürgerlichen Alltag und der Bildung für Mädchen dazu gute Spuren gelegt. Wie gestalten wir den Dialog der Religionen weiter- mit dem 2017 erworbenen selbstkritischen Rückblick auf Luthers Äußerungen zu Juden und Muslimen?

Einen Überblick über die Geschichte des Johanniterordens trug Frau von Förster-Kamlah am Ort der Komturei in Nieder-Weisel vor. Der Kreuzfahrer- und Hospitalorden, der 1099 in Jerusalem bei der Pilgerherberge „Zum Heiligen Johannes“ gegründet wurde, hat als evangelische Gemeinschaft in Deutschland heute ca. 4000 Mitglieder. In Nieder-Weisel werden alle deutschen Johanniter, die neu aufgenommen werden, „zum Ritter geschlagen“. Besonders interessant ist im Obergeschoss der Komturkirche, der gut erhaltenen Hospitalstation, das Loch im hölzernen Fußboden, durch das die Kranken am Gottesdienst teilnehmen konnten.

Inhaltlicher Austausch prägte den letzten Nachmittag der Tagung. Die hannoversche Tourismus-Pfarrerin Amelie zu Dohna führte ein in das Pilgern als geistliche Praxis und zu besonderen Pilgerwegen, die nord- und mitteldeutsche Zisterzienserklöster miteinander verbinden. Aus den einzelnen ehemaligen Klöstern wurde kurz berichtet, z.B. über die Gestaltung des Reformationsjubiläums, über Bauprojekte, Umstrukturierungen und geistliche Entwicklungen an den verschiedenen Orten. Und wie der vorletzte Abend mit einem Kirchenkonzert in Lich einen kulturellen Abschluss fand, so bot Pfarrer Wenzel am letzten dann „Märchen, Fabeln und Musik“ – jeweils geistlich-gemeinschaftlich eingerahmt durch die Vesper und die Komplet.

Das nächste Treffen der „Evangelischen Zisterziensererben“ findet vom 5. bis 8. Mai 2019 im Kloster Helfta bei Eisleben in Thüringen statt, das durch eine große Tradition von Mystikerinnen geprägt ist. Memoria, Erinnerung: Was mich an den drei Tagen in Arnsburg am stärksten beeindruckte, ist der Kriegsgräber-Friedhof im ehemaligen Kreuzgang. Dort sind ehemalige Wehrmachtssoldaten und SS-Angehörige genauso bestattet wie osteuropäische Zwangsarbeiter und weibliche Gefangene, die kurz vor Kriegsende bei einem „Todesmarsch“ aus einem Lager bei Frankfurt ums Leben kamen. Täter und Opfer der NS-Zeit liegen da nebeneinander. Es ist wohl der einzige derartige Friedhof in Deutschland. Und auf einem Altar im ehemaligen Kapitelsaal liegen Bilder, Blumen und Briefe zur Erinnerung an liebe Verstorbene. Im Gedenken Gottes finden unsere zwiespältigen Lebensgeschichten Würdigung und Gerechtigkeit. Auf die Gnade seiner memoria sind alle angewiesen.

Dr. Ulrich Schindler, Heilsbronn