Ein geistlicher Auftrag zur Gestaltung der Landschaft

Zisterzienser als Gestalter von Klosterlandschaften | Vortrag von Prof. Dr. Winfried Schenk (Geographisches Institut, Historische Geographie, Bonn) bei der Jahrestagung 2025

Einleitung

Landschaft. Da denke sicher nicht nur ich an Wiesen, Hügel, Wälder, Berge und Täler. Landschaft ist etwas je Eigenes, das eine Gegend prägt. Seien es Berge und Täler, satte grüne Wiesen, eine Seenplatte wie in Mecklenburg, die Weinhänge Frankens, die aufragenden Felsformationen der Sächsischen Schweiz oder das Rheintal. Wir denken also zuerst an Schöpfung, Natur. Doch auch das vom Menschen gestaltete, gebaute bildet Landschaft: Städte und Orte, Terrassen und Bergwerke, Stauseen und Wegenetze. Im Rückgriff auf den hl. Paulus erinnert uns der hl. Bernhard in seiner 1. Adventspredigt: „Du brauchst, o Mensch, nicht die Meere zu überqueren, es ist nicht nötig, Wolken zu durchdringen oder Berge zu übersteigen. Kein weiter Weg, sage ich, wird dir gezeigt: Geh nur in dich und begegne dort deinem Gott! Denn ,das Wort ist dir nahe, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen.‘ (Röm 10,8)“.1 Deswegen will auch ich heute mit Ihnen und euch keine Alpen überqueren, nicht Entwässerungskanäle oder Fischteiche verschiedener Klöster besuchen, sondern geistlich graben, in die Bergwerke unserer Seelen und Herzen schauen, die Landschaft des persönlichen geistlichen Lebens kultivieren um im geistlichen Leben zu wachsen. Zu Beginn der Hl. Schrift, im Buch Genesis, legt Gott einen Garten an. Und er überträgt Adam und Eva, also den Menschen, die Sorge für diesen Garten. Sie sollen ihn bebauen, soll ihn gebrauchen, soll darin Heimat finden. Von diesem Ursprung, der unser aller Ursprung ist, will ich ausgehen – und wir werden durch Gärten, Höhen und Tiefen wandern. Die Zisterzienser als Gestalter von Kulturlandschaft. Da denken wir an Wasser, an Stadthöfe und Grangien, an Mühlen und Teiche. Schon der hl. Benedikt mahnt in der Regel, im 66. Kapitel, dass innerhalb des Klosterbezirkes alles vorhanden sein soll – damit seine Mönche nicht draußen herumlaufen müssen. Das sei für sie, so der Ordenspatriarch, gar nicht gut. Wenn wir also im Kloster bleiben sollen, gilt es, innerhalb der Mauern zu wandern – und das hat ganz eigene Herausforderungen. Aber warum soll man aus einem Zisterzienserkloster auch fortlaufen wollen? Schon die Namen vieler Klöster sind doch Orte, wo man leben will: Mariengarten, Seligenthal, Marienstatt, im Rosenthal oder himmelstürmend: Lichtenstern, Marienstern und, berühmt: das Lichte Tal, Clairvaux, oder Gottestal, Val-Dieu. Auf Feldern und Auen dürfen wir uns weiden lassen vom Guten Hirten: Marienau, Kamp, auf einem oberen oder niederen schönen Feld. Vom Kloster Porta bis hin zu Seligenporten. Was gibt es für uns beglückenderes als mit Engeln in Engelszell, Maria in Marienzelle oder mit Gott selbst, in Gotteszell, zu leben? Dass unsere Mütter und Väter den Klöstern solche Namen gegeben haben, zeigt für mich eine tiefe Wahrheit und eine noch größere Sehnsucht. Die tiefe Sehnsucht, einen Ort zu haben, wo man das Leben findet. Einen Ort zu haben, an dem man mit Petrus auf dem Berg Tabor sagen kann: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind.“ (Mt 17,4). Wer hat denn nicht den Wunsch, an einem Ort zu leben, an dem der Friede wohnt? Diese Häuser haben sie errichtet, um Gott nahe zu sein. Es sind Werkstätten und im Letzten Mittel, um zu Gott zu kommen. das geistliche Leben, das wir alle pflegen, hat ja kein anderes Ziel, als immer gleichförmiger zu werden mit Jesus, in IHN umgestaltet zu werden, um Gott einst zu schauen, wie er ist (1 Joh 3,2). Und da muss eben auch mitunter gerodet werden, das Unkraut vom Weizen getrennt, gegossen und gehegt werden. Wir dürfen doch, davon bin ich überzeugt, nicht meinen, dass die Bewohner der Klöster vor Jahrhunderten, die Frauen und Männer, die diese Klöster bewohnt haben, anders waren als wir heute! Sicher, jede Zeit hat ihre eigenen Prägungen, Gewohnheiten und Voraussetzungen. Aber jene, die dort lebten, die hier in Loccum lebten, waren Menschen wie Sie und ich, wie Du und ich: mit ihren Wünschen und Sehnsüchten, mit ihren Hoffnungen, mit ihren Enttäuschungen und Wunden, mit der Gemeinheit, die uns alle immer wieder überkommt, mit Lebensfreude und Dankbarkeit – und im Letzten mit dem tiefen Wunsch, geliebt und angenommen zu sein. Dass die Zisterzienser die wilden und urtümlichen Gegenden suchten, die Sümpfe und unwirtlichen Gebiete, ist inzwischen erwiesenermaßen ein Topos und eine Tradition, die wir nach aktuellem Stand nicht mehr 100% wörtlich nehmen können. Dass unsere Mütter und Väter jedoch in der Abgeschiedenheit leben wollten – und dafür sogar mitunter bestehende Gehöfte und Siedlungen absiedelten – bleibt bestehen. Es sind also doch Orte der Einsamkeit, der Intimität mit der anderen Wirklichkeit. Und diese Klöster tragen nicht nur wohlklingende Namen, sondern sind schlichtweg schön. Die Erbauer der Klöster waren nicht auf die gierigen Blicke von Klostertouristen oder Kunstinteressierten unserer Tage aus, sondern haben in der Abgeschiedenheit schön gebaut – für Gott. Architektur ist hier nicht nur funktional – ein Kloster des 12. und 13. Jahrhunderts (und davor und danach) ist kein Bauhaus-Bau. Mir ihren Klöstern als Haus Gottes wollten und wollen die Mönche und Nonnen Gott die Ehre geben. Diese Schönheit haben sie nicht in erster Linie für sich gebaut – sondern für Gott, aber schon auch für sich. Auch das ist ein Auftrag zur Landschaftsgestaltung. Zur Gestaltung von Lebensraum: für die Menschen, die dort leben, arbeiten, lieben und leiden, sich freuen und trauern. Klöster dienen den Menschen, weil sie Gott dienen. Bei aller Schönheit, immerhin ein Attribut Gottes, waren und sind unsere Klöster kein Paradies auf Erden. Aber sie sollen uns helfen, zu jenem verlorenen Paradies zurückzukehren.

Garten I

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“ (Gen 2,18). Das ist eine Feststellung Gottes ganz zu Beginn, so ziemlich am Ende der Schöpfung. Und so erschuf Gott den zweiten Menschen, Eva. Adam, der Mensch und Eva, das Leben. Aus dem Staub geformt und mit Lebensatem versehen, liebevoll gebildet von den Händen Gottes und mit einer unsterblichen Seele beschenkt. Ein geistlicher Auftrag zur Landschaftsgestaltung ist für mich der Auftrag, die Landschaft der eigenen Seele, des eigenen Herzens zu kultivieren. Und das von Garten zu Garten. Schon früh, wir nennen es Erb- oder Ursünde, ist der Mensch aus seiner ursprünglichen Beziehung der Liebe und des Vertrauens herausgefallen. Es hat sich etwas zwischen Gott und den Menschen gestellt. Aus dem Auftrag, das Paradies zu behüten wurde die Last, mit Disteln und Dornen umzugehen. Ganz praktisch im alltäglichen Leben, aber auch geistlich in der Kultivierung des Herzens. Der hl. Bernhard fragt seinen Schüler Papst Eugen III.: „Wem bist Du nicht fremd, wenn Du es Dir selbst bist?“2. Es geht also darum, uns besser kennenzulernen. Zu Beginn des Prologs zur regula heißt es: „…damit Du durch die Mühe des Gehorsams zu dem zurückkehrst, den Du durch die Trägheit des Ungehorsams verlassen hast. (RB Prol 2). Die Menschheit, zu der wir gehören, befindet sich also auf einem großen Rückweg, zurück ins verlorene Paradies. Deswegen haben sich schon früh die Gläubigen zusammengeschlossen in Gemeinden und später in klösterlichen Gemeinschaften, um gemeinsam diesen Weg zu Gott hin zu gehen, um zum eigentlichen Ursprung zu kommen. Das gemeinsame Leben ist natürlich von zweierlei geprägt: vom gemeinsamen und vom je eigenen Streben. Um jeglichem geistlichen Egoismus vorzubeugen, wissen wir, dass wir alle Teil der großen Glaubensgemeinschaft sind. Deswegen beten wir „Vater unser“ und nicht „Mein Vater“.

Garten II

Das Kloster als ein hortus conclusus, ein verschlossener Garten, wie ihn das Hohelied beschreibt, soll den Mönchen und Nonnen helfen, zu Gott zu kommen. Nicht, um sich nur von der „Welt“ abzuschneiden, sondern um Raum und Ort zu haben, um Gott zu begegnen. Die Menschen, die in den Klöstern lebten und leben, sind keine Heiligen. Sie wurden bzw. werden es vielleicht oder hoffentlich. Doch wir nehmen uns alle mit hinein. Und das war schon immer so und ist ja auch gut so: weil wir Individuen sind. Von Gott je geliebte Einzelpersonen. Und drum kann ein Kloster schon gar kein Paradies mit Friede, Freude und Eierkuchen sein: weil dort Menschen leben, Menschen, wie Du und ich. Und so kann auch eine Gemeinde keine reine oder heilige sein, weil wir Menschen sind. Geheiligt sind wir durch die Taufe. Aber sehen wir das doch nüchtern: wie oft fallen wir trotzdem? Und das ist ja kein Drama. Denn wir haben die Gewissheit, daß Gott uns wieder aufrichtet. Aufstehen müssen wir wollen – und Gott gibt das Seine dazu. Und das ist vielleicht der Garten, der am meisten schmerzt. Immer mehr zu erkennen, dass man fehlerhaft ist. Das ist der Ölgarten, der Ölberg auch des klösterlichen Lebens, der Ölberg unseres geistlichen Lebens: Wenn die Fassade bröckelt, wenn ich immer wieder neu erkennen muss, aber eigentlich vielmehr: darf – dass ich nicht so bin, wie die Menschen mich sehen oder wie ich will, dass die Menschen mich sehen. Dem australischen Trappisten Michael Casey habe den Hinweis zu verdanken, dass Jesus die Pharisäer, die er tadelt, hypokritai nennt, also Schauspieler, Vortäuscher (allein in Mt 23 sechsmal).3 Jesus warnt uns also davor, Schauspieler zu sein, die Masken tragen. Und da ist das Kloster eine wirkliche Hilfe: weil man nicht vor sich weglaufen kann. Und das ist in unser aller geistlichem Leben doch immer wieder die Versuchung: dass ich vor meiner eigenen Wahrheit, vor der Wahrheit meines Gebrochenseins davonlaufen will. Weil ich es selbst nicht wahrhaben will, aber auch, weil unsere Zeit das Fallen und Versagen oft nicht will oder duldet. Wie schnell ist man abgestempelt – und da ist unsere Zeit, sind wir oft, sehr genau: bei den Fehlern der anderen sind wir oft Experten, andere Fehler und Schwächen können die meisten von uns gut erkennen und weitererzählen. Und bei mir? Ich will die Maske festhalten. Wie oft hält mein Heiligenschein nur durch das Scheinheilig-Sein der Härte und Unbarmherzigkeit? Wie oft lästere und verurteile ich, um damit selber im besseren Licht dazustehen? Für Benedikt hat das geistliche Leben den Sinn, zur Ehrlichkeit zu kommen: und zwar über mich und über Gott. Über Gott, dass er der maßlos Barmherzige ist, wie es schon das Psalmlied zu Psalm 36 sagt: „Herr, Deine Güt‘ ist unbegrenzt, sie reicht so weit der Himmel glänzt.“ Und die Wahrheit über mich: dass auch ich der Erlösung und Heilung bedarf. Die Tutzinger Missionsbenediktinerin Sr. M. Aquinata Böckmann deutet das Psalmwort (42,8 lat.) vom Abgrund, der den anderen hervorruft, so: „Vor der Güte und Majestät Gottes sehen wir uns in tieferer Weise als Sünder. Die zwei Abgründe stehen einander gegenüber. Man könnte vielleicht auch sagen, ein Abgrund (unsere Sündigkeit) ruft den andern (der Barmherzigkeit Gottes).“4 Und das gilt für uns alle. Und, im wahrsten Sinne: Dank sei Gott!, müssen wir uns nicht selbst erlösen, sondern sind erlöst. Vor wenigen Wochen haben wir das wieder neu gefeiert: durch Jesu Hingabe im Leiden und seinen Ostersieg sind wir erlöst, der Schuldschein ist ausgetilgt, das Netz ist zerrissen und wir sind frei! Sich dazu durchzuringen, dass man selber nicht perfekt ist und aus dieser Erkenntnis sich auf Gott hin auszustrecken, das muss immer wieder neu erkämpft und vielleicht auch zeitweise erlitten werden. Doch ist auch in diesen Stunden Gott bei uns. Unsere Klöster sind klassischerweise um einen Garten herumgebaut, den man oft das Paradies nannte oder nennt. So sollen wir unser Ziel vor Augen haben. Wie Paulus schreibt: das Ziel vor Augen, jagen wir nach dem Siegespreis. Und das ist für uns einmal die himmlische Ruhe, der ewige Sabbat Gottes. Doch dort sind wir noch nicht; bis dorthin bedarf es der weiteren Kultivierung unserer Landschaft, unseres geistlichen Lebens. Und da gehört das Gebet zentral dazu. Und zwar für uns alle. Denn was ich hier sage, gilt ja nicht nur für uns Ordensleute, sondern für alle Getauften. Ich will hierbei nicht unverschämt oder fordernd oder vielleicht auch utopisch sein: aber ich bin davon überzeugt, dass das regelmäßige Gebet für uns alle Anker, Hoffnung und Kraftquell ist. Ich weiß nicht, wie es hier im Hohen Norden war oder ist: doch bei uns im Süden und auch in Österreich läutet es morgens, mittags und abends zum Engel des Herrn. Dass es das „Gebetläuten“ ist, ist vielleicht doch noch einigen Menschen klar. Aber was und vor allem dass wir zu diesen Zeiten zum Gebet eingeladen sind, wohl kaum mehr. Insgesamt bin ich zwar leider kein sehr strukturierter Mensch, aber brauche doch Struktur. Und da helfen mir Glocken ungemein. Der Viertelstundenschlag bzw. die Turmuhr, das Läuten der Glocken ist für mich und meinen Alltag – auch außerhalb des Klosters – unglaublich wichtig. Weil es mir eine Struktur gibt. Klar, im Kloster sind die Gebetszeiten vorgegeben. Doch für jene, die eben nicht in einem Kloster leben oder zumindest nicht dauerhaft in einer klösterlichen Gemeinschaft, braucht es – und das wage ich kühn zu postulieren, auch eine Gebetsordnung, eine Ordnung des persönlichen Betens. Um immer wieder das Herz zu Gott zu erheben. Das muss ja nicht lang sein – aber morgen und abends, und vielleicht auch zur Mitte des Tages zu beten, das kultiviert unser christliches Leben, unsere Beziehung zu Gott. Denn wie jede menschliche Freundschaft und Beziehung, so muss uns klar sein, dass auch diese Beziehung der Pflege bedarf. Der hl. Benedikt ordnet seine Gebetszeiten so, dass eigentlich alle drei Stunden (außer in der Nacht) eine längere oder kürzere Gebetszeit vorgesehen ist. Denn selbst für jene, die nach seiner Regel leben, sieht er die Möglichkeit, Gott zu vergessen (vgl. Kap. 7, 10: 1. Stufe der Demut: Der Mönch hüte sich davor, Gott je zu vergessen). Also selbst im Haus Gottes, als das Benedikt sein Kloster sieht, weiß er um die Möglichkeit, Gott zu vergessen. Um dem entgegenzuwirken, haben wir unsere Chorzeiten, in denen wir mit Psalmen, Hymnen und Lesungen vor Gott stehen und ihn preisen dürfen. Für Benedikt ist sein Kloster eine Schule des Herrendienstes und Haus Gottes. Eine Schule für den Dienst des Herrn will er gründen5. Wir glauben, dass unser Gebet nicht im Nichts endet, sondern Gespräch mit einem liebenden Du ist, mit einer Person, die wir Gott nennen, der Dreifaltig-Eine. 1700 Jahre nach Nizäa dürfen wir uns heuer daran erinnern, wer Gott für uns Christen ist. Wer und was Jesus Christus, der ewige Sohn Gottes, ist. Und wir glauben, dass unserem Gebet eine Wirksamkeit innewohnt. Das hat nichts mit Zauberformeln oder beschwörenden Worten zu tun, sondern mit dem festen Wissen, dass wir ein Gegenüber haben, wenn wir beten. Im 55. Kapitel des Propheten Jesaja heißt es: 10Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt / und nicht dorthin zurückkehrt, ohne die Erde zu tränken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen, / dass sie dem Sämann Samen gibt und Brot zum Essen, 11so ist es auch mit dem Wort, / das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, / ohne zu bewirken, was ich will, / und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe. Das gilt für ale unser Beten, aber verbürgt für unser Beten und Betrachten des Wortes Gottes. Ich spreche hier nur von Klöstern, und zwar um der Einfachheit oder Übersichtlichkeit willen. Sonst wird das Gebiet zu unübersichtlich und übersteigt die Vorstellungskraft; doch was ich sage, gilt, so behaupte ich, auch für Pfarrgemeinden, ja für jeden Menschen, der betet. Das ist mir wichtig. Die Klöster bildeten und bilden ein Netz, das sich über unsere Gegenden und Länder legt, ja, das den gesamten Erdkreis umspannt. Ein Netz des Gebetes, des Lobpreises Gottes. Und das in erster Linie deswegen, weil wir davon überzeugt sind, dass Gott es, aufgrund seiner Existenz, verdient, angebetet zu werden. In einer Präfation in unserem Messbuch heißt es: „unser Lobpreis kann Deine Größe nicht mehren, doch uns bringt er Segen und Heil.“ Das stimmt. Gott ist Gott, unabhängig von uns. Umso größer ist aber das Geschenk, dass wir Gott kennen und ihn preisen dürfen. Und das ist der Ur-Grund, ja die Ur-Sache der Existenz von Klöstern. Gott zu loben und zu preisen. Damit „vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang“ (Ps 112) der Name Gottes gelobt und gepriesen wird – das ist geistliche Landschaftspflege. Wie in einem Staffellauf setzt sich das Gebet und der Lobpreis Gottes fort, hinweg über das ganze Erdenrund.

Garten III

Doch wandeln wir weiter zum nächsten Garten, dem Garten der Auferstehung. Im Garten ist das Grab, dorthin eilen die Frauen, um den vermeintlich toten Jesus zu finden. Dorthin eilt Maria Magdalena, da sitzen schon die Engel, dahin eilen Johannes und Petrus. Und dort ist er, der Lebende, das Leben selbst. Im Garten erhalten die Frauen die Nachricht: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Und Maria Magdalena meint, es sei der Gärtner. Doch dann zeigt sich Jesus seinen verängstigten Aposteln selbst – die Türen verschlossen, die Herzen vielleicht noch mehr. Und was zeigt er ihnen? Seine Wunden. An den Wundmalen erkennen sie ihren Herrn, erkennen sie Jesus. Die sind ihm geblieben, aber verwandelt. Und Thomas soll sogar hineinfassen in diese Wunden. Und in meiner Vorstellung tut er es auch. Denn unser Gott und Erlöser ist berührbar, er hat einen Leib wie wir, wenn auch bereits verklärt, und er trägt die Wunden. Einer der bewegendsten Momente des ganzen Jahres für mich ist bei der Segnung der Osterkerze in der Osternacht der Satz: „Durch seine heiligen Wunden, die leuchten in Herrlichkeit, behüte uns und bewahre uns Christus der Herr.“ Auch wenn sein Leid, sein wirklicher Tod, seine Passion – für uns und zu unserem Heil, wie wir im Credo beten – durchschritten ist, bleiben ihm die Male der Nägel und der Lanze. Und so ist es auch bei uns: Das Leben schlägt Wunden. Solange wir leben, werden wir verwundet und, leider, verwunden wir andere oft selbst. Doch Jesus ist gekommen, um diese Wunden zu heilen. Um Deine und meine Wunden zu heilen. Doch die Spuren davon werden bleiben. Er wischt sie nicht weg und macht sie nicht nichtig, als wären sie nie gewesen. Denn Gott nimmt uns ernst. Das, was uns verwundet hat, was wehtut, oft jahrelang, vielleicht ein Leben lang, das prägt uns. Und das macht uns auch ein Stück weit aus, das formt uns. Und Gott nimmt das Ernst. Er macht kein „Das passt schon. Das war doch nicht so schlimm.“ Nein, er selber weiß, wie schlimm es war und vielleicht ist. Und doch will er uns verwandeln, will uns heilen. Die Heiligen sind für mich keine Schein-Heiligen, sondern waren Menschen aus Fleisch und Blut, die im Leben etwas mitgemacht haben, deren Lebenspuren man sieht. Sie sind heilig, weil sie heil geworden sind, heil durch Gott. Er, unser Schöpfer und Erlöser, nimmt uns Menschen ernst, doch er will uns aus der Verkrümmung zur Freiheit führen, uns aufrichten wie die gebeugte Frau aus dem Evangelium, wie den Gelähmten am Straßenrand. Er, der Auferstandene, will unsere Seele heilen. Neben dem offiziellen und rituellen Gebet, dem Chorgebet und der Liturgie, sieht der hl. Benedikt in seiner Regel das ganz persönliche Gebet vor. In der Fastenzeit sind es gut drei Stunden, die er für die tägliche geistliche Lesung der Hl. Schrift und anderer geistlicher Werke seinen Mönchen (und Nonnen) freigibt. Sie sollen, so schreibt er, frei sein für die Lesung, frei sein für Gott (Kap. 48,4). Das Lesen der Bibel hat in der protestantischen Tradition ein viel größeres Gewicht als bei uns – selbst in den Klöstern. Erst in den letzten Jahrzehnten haben wir – wie auch die Kirche insgesamt – die lectio divina wieder neu entdeckt. Lectio divina – das ist die ganz persönliche Begegnung der Seele mit Gott. Denn dort setze ich mich dem Wort aus, gehe um mit dem Wort – im gläubigen Wissen, dass es eben nicht nur toter Buchstabe ist, sondern mir gewährte Offenbarung, mir geschenkte Zeit des Gebetes in dieser anderen Form. Nicht ritualisiert, sondern im schweigenden Betrachten und Nachsinnen. Gott selbst weidet uns hier an seinem Wort und will uns zu den Quellen führen, aus denen das Wasser des Lebens strömt, das Wasser, das unsere Seele begießt. (vgl. Offb 7,17). Jeden Tag sollen wir uns mit dem Wort Gottes beschäftigen. Aber seien wir ehrlich: tun wir das? Ist es das, was unser persönliches Leben, unser geistliches Leben nährt? Nehmen wir täglich die Bibel zur Hand, um in ihr wie in einem Garten zu wandeln? Vom Berg aus lehrt Jesus die Menschen, bei Lukas ist es auf dem Feld: nach dem Wort Gottes zu leben, sich nach dem Willen des Vaters auszustrecken und mit ihm zu leben. „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie einer, der sein Haus auf Fels baute“, so lässt Matthäus Jesus die Bergpredigt enden. Es ist wie ein Hinweis auf Psalm 1, der das weite Feld der 150 Psalmen eröffnet: eine Anleitung, nicht nur nach, sondern mit dem Wort Gottes, mit seiner Weisung, zu leben. Das Leben auf das Fundament der Hl. Schrift zu bauen – und dieses ewige, performative Wort, wie es in Jes 55 beschrieben wird, je neu für unser Leben und unsere Zeit zu deuten. Und ich glaube, dass auch das für unser persönliches geistliches Leben Bedeutung hat, wie wir mit der Schrift umgehen, nein, dass wir eine lebendige Beziehung zum Wort Gottes haben, einen weiten Acker, auf dem Verschiedenes blüht, von dem wir zehren können, in dem wir Freude und Trost finden, wo wir alle Regungen unseres Herzens einpflanzen können. Jesus, das fleischgewordene Worte Gottes, die menschgewordene Tora, ist jener Gute Hirte, der uns auf die grünen Auen führen will. Mit den Worten des Neuen und Alten Bundes deckt er uns reichlich den Tisch und füllt uns reichlich den Becher.

Garten IV

Und nun, ein letzter Garten: Im letzten Kapitel der Offenbarung des Johannes heißt es: 22, „1Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; er geht vom Thron Gottes und des Lammes aus. 2Zwischen der Straße der Stadt und dem Strom, hüben und drüben, steht ein Baum des Lebens. Zwölfmal trägt er Früchte, jeden Monat gibt er seine Frucht; und die Blätter des Baumes dienen zur Heilung der Völker. Das ist unser Ziel: das Wiedererlangen des Paradieses, das Gott am Anfang für uns schon bereitet hat. Geläutert und gereift, mit Lebenserfahrung und verflossenen Tagen und Jahren haben wir die Zuversicht, dass dort für uns ein Platz bereitet ist. Dann werden wir Gott schauen, wie er ist, nicht mehr durch Schatten oder einen Spiegel. Das wird sein, wenn wir befreit sind von aller Selbsttäuschung, wenn wir unser Leben mit Gott und von ihm unterwiesen, hier auf Erden beendet haben werden. Der hl. Benedikt schließt seine Regel mit dem Wort pervenies – Du wirst ankommen (Kap 73,9). Das ist doch eine Verheißung, eine Zusage! Für ihn ist ganz klar, dass ein Leben mit Gott zur wahren Begegnung mit Gott führen wird. Der hl. Ignatius von Antiochien – wir sind im 2. Jahrhundert – ruft deswegen aus: Auf zum Vater! … Haltet mich nicht vom Leben ab! … Dort angekommen werde ich Mensch sein‘.“6

Schluss

Das Jahr 2025 – 1700 Jahre nach dem Ökumenischen Konzil von Nizäa: das bringt uns zu unserem gemeinsamen Glaubensbekenntnis. Und dort bekennen wir gemeinsam Gott den Vater, der alles geschaffen hat, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Sichtbare Welt: das ist unsere Umwelt, das was wir eben sehen, Berge, Täler, Felder und Flüsse. Und die unsichtbare Welt, jene Wirklichkeiten, die über unser vordergründiges Sehen hinausgehen. Zur unsichtbaren Welt, da gehört sie dazu, unsere Seele, die uns liebend anvertraut und geschenkt worden ist von Gott unserem Vater. Auch diese müssen wir hüten, hegen und pflegen. Auch unser Innenleben sollen wir kultivieren. Das dürfen wir im Glauben tun, voller Hoffnung und Vertrauen und in diese Pflege all die Menschen mithineinnehmen und –legen, die uns am Herzen liegen. Aber noch mehr: all die Einsamen und Verlassenen, die Trost- und Hoffnungslosen, all die Leidenden, ja die ganze Welt, dürfen wir vor Gott tragen und sie stellvertretend vor Gott stellen. Denn jeder Mensch, weil er Mensch ist, hat diese unsterbliche, ewig geliebte Seele. Und hier Hüter/Hüterin des Bruders und der Schwester zu werden, ist unsere Mitarbeit als Gärtnerin und Gärtner Gottes, damit auch die Herzen der anderen neu geschaffen und verwandelt werden, dass es österliche Herzen werden, wie an jenem Morgen, als eben die Sonne aufging.