Ein geistlicher Auftrag zur Gestaltung der Landschaft

Zisterzienser als Gestalter von Klosterlandschaften | Vortrag von Prof. Dr. Winfried Schenk (Geographisches Institut, Historische Geographie, Bonn) bei der Jahrestagung 2025

Einleitung

Landschaft. Da denke sicher nicht nur ich an Wiesen, HĂŒgel, WĂ€lder, Berge und TĂ€ler. Landschaft ist etwas je Eigenes, das eine Gegend prĂ€gt. Seien es Berge und TĂ€ler, satte grĂŒne Wiesen, eine Seenplatte wie in Mecklenburg, die WeinhĂ€nge Frankens, die aufragenden Felsformationen der SĂ€chsischen Schweiz oder das Rheintal. Wir denken also zuerst an Schöpfung, Natur. Doch auch das vom Menschen gestaltete, gebaute bildet Landschaft: StĂ€dte und Orte, Terrassen und Bergwerke, Stauseen und Wegenetze. Im RĂŒckgriff auf den hl. Paulus erinnert uns der hl. Bernhard in seiner 1. Adventspredigt: „Du brauchst, o Mensch, nicht die Meere zu ĂŒberqueren, es ist nicht nötig, Wolken zu durchdringen oder Berge zu ĂŒbersteigen. Kein weiter Weg, sage ich, wird dir gezeigt: Geh nur in dich und begegne dort deinem Gott! Denn ,das Wort ist dir nahe, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen.‘ (Röm 10,8)“.1 Deswegen will auch ich heute mit Ihnen und euch keine Alpen ĂŒberqueren, nicht EntwĂ€sserungskanĂ€le oder Fischteiche verschiedener Klöster besuchen, sondern geistlich graben, in die Bergwerke unserer Seelen und Herzen schauen, die Landschaft des persönlichen geistlichen Lebens kultivieren um im geistlichen Leben zu wachsen. Zu Beginn der Hl. Schrift, im Buch Genesis, legt Gott einen Garten an. Und er ĂŒbertrĂ€gt Adam und Eva, also den Menschen, die Sorge fĂŒr diesen Garten. Sie sollen ihn bebauen, soll ihn gebrauchen, soll darin Heimat finden. Von diesem Ursprung, der unser aller Ursprung ist, will ich ausgehen – und wir werden durch GĂ€rten, Höhen und Tiefen wandern. Die Zisterzienser als Gestalter von Kulturlandschaft. Da denken wir an Wasser, an Stadthöfe und Grangien, an MĂŒhlen und Teiche. Schon der hl. Benedikt mahnt in der Regel, im 66. Kapitel, dass innerhalb des Klosterbezirkes alles vorhanden sein soll – damit seine Mönche nicht draußen herumlaufen mĂŒssen. Das sei fĂŒr sie, so der Ordenspatriarch, gar nicht gut. Wenn wir also im Kloster bleiben sollen, gilt es, innerhalb der Mauern zu wandern – und das hat ganz eigene Herausforderungen. Aber warum soll man aus einem Zisterzienserkloster auch fortlaufen wollen? Schon die Namen vieler Klöster sind doch Orte, wo man leben will: Mariengarten, Seligenthal, Marienstatt, im Rosenthal oder himmelstĂŒrmend: Lichtenstern, Marienstern und, berĂŒhmt: das Lichte Tal, Clairvaux, oder Gottestal, Val-Dieu. Auf Feldern und Auen dĂŒrfen wir uns weiden lassen vom Guten Hirten: Marienau, Kamp, auf einem oberen oder niederen schönen Feld. Vom Kloster Porta bis hin zu Seligenporten. Was gibt es fĂŒr uns beglĂŒckenderes als mit Engeln in Engelszell, Maria in Marienzelle oder mit Gott selbst, in Gotteszell, zu leben? Dass unsere MĂŒtter und VĂ€ter den Klöstern solche Namen gegeben haben, zeigt fĂŒr mich eine tiefe Wahrheit und eine noch grĂ¶ĂŸere Sehnsucht. Die tiefe Sehnsucht, einen Ort zu haben, wo man das Leben findet. Einen Ort zu haben, an dem man mit Petrus auf dem Berg Tabor sagen kann: „Herr, es ist gut, dass wir hier sind.“ (Mt 17,4). Wer hat denn nicht den Wunsch, an einem Ort zu leben, an dem der Friede wohnt? Diese HĂ€user haben sie errichtet, um Gott nahe zu sein. Es sind WerkstĂ€tten und im Letzten Mittel, um zu Gott zu kommen. das geistliche Leben, das wir alle pflegen, hat ja kein anderes Ziel, als immer gleichförmiger zu werden mit Jesus, in IHN umgestaltet zu werden, um Gott einst zu schauen, wie er ist (1 Joh 3,2). Und da muss eben auch mitunter gerodet werden, das Unkraut vom Weizen getrennt, gegossen und gehegt werden. Wir dĂŒrfen doch, davon bin ich ĂŒberzeugt, nicht meinen, dass die Bewohner der Klöster vor Jahrhunderten, die Frauen und MĂ€nner, die diese Klöster bewohnt haben, anders waren als wir heute! Sicher, jede Zeit hat ihre eigenen PrĂ€gungen, Gewohnheiten und Voraussetzungen. Aber jene, die dort lebten, die hier in Loccum lebten, waren Menschen wie Sie und ich, wie Du und ich: mit ihren WĂŒnschen und SehnsĂŒchten, mit ihren Hoffnungen, mit ihren EnttĂ€uschungen und Wunden, mit der Gemeinheit, die uns alle immer wieder ĂŒberkommt, mit Lebensfreude und Dankbarkeit – und im Letzten mit dem tiefen Wunsch, geliebt und angenommen zu sein. Dass die Zisterzienser die wilden und urtĂŒmlichen Gegenden suchten, die SĂŒmpfe und unwirtlichen Gebiete, ist inzwischen erwiesenermaßen ein Topos und eine Tradition, die wir nach aktuellem Stand nicht mehr 100% wörtlich nehmen können. Dass unsere MĂŒtter und VĂ€ter jedoch in der Abgeschiedenheit leben wollten – und dafĂŒr sogar mitunter bestehende Gehöfte und Siedlungen absiedelten – bleibt bestehen. Es sind also doch Orte der Einsamkeit, der IntimitĂ€t mit der anderen Wirklichkeit. Und diese Klöster tragen nicht nur wohlklingende Namen, sondern sind schlichtweg schön. Die Erbauer der Klöster waren nicht auf die gierigen Blicke von Klostertouristen oder Kunstinteressierten unserer Tage aus, sondern haben in der Abgeschiedenheit schön gebaut – fĂŒr Gott. Architektur ist hier nicht nur funktional – ein Kloster des 12. und 13. Jahrhunderts (und davor und danach) ist kein Bauhaus-Bau. Mir ihren Klöstern als Haus Gottes wollten und wollen die Mönche und Nonnen Gott die Ehre geben. Diese Schönheit haben sie nicht in erster Linie fĂŒr sich gebaut – sondern fĂŒr Gott, aber schon auch fĂŒr sich. Auch das ist ein Auftrag zur Landschaftsgestaltung. Zur Gestaltung von Lebensraum: fĂŒr die Menschen, die dort leben, arbeiten, lieben und leiden, sich freuen und trauern. Klöster dienen den Menschen, weil sie Gott dienen. Bei aller Schönheit, immerhin ein Attribut Gottes, waren und sind unsere Klöster kein Paradies auf Erden. Aber sie sollen uns helfen, zu jenem verlorenen Paradies zurĂŒckzukehren.

Garten I

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist“ (Gen 2,18). Das ist eine Feststellung Gottes ganz zu Beginn, so ziemlich am Ende der Schöpfung. Und so erschuf Gott den zweiten Menschen, Eva. Adam, der Mensch und Eva, das Leben. Aus dem Staub geformt und mit Lebensatem versehen, liebevoll gebildet von den HĂ€nden Gottes und mit einer unsterblichen Seele beschenkt. Ein geistlicher Auftrag zur Landschaftsgestaltung ist fĂŒr mich der Auftrag, die Landschaft der eigenen Seele, des eigenen Herzens zu kultivieren. Und das von Garten zu Garten. Schon frĂŒh, wir nennen es Erb- oder UrsĂŒnde, ist der Mensch aus seiner ursprĂŒnglichen Beziehung der Liebe und des Vertrauens herausgefallen. Es hat sich etwas zwischen Gott und den Menschen gestellt. Aus dem Auftrag, das Paradies zu behĂŒten wurde die Last, mit Disteln und Dornen umzugehen. Ganz praktisch im alltĂ€glichen Leben, aber auch geistlich in der Kultivierung des Herzens. Der hl. Bernhard fragt seinen SchĂŒler Papst Eugen III.: „Wem bist Du nicht fremd, wenn Du es Dir selbst bist?“2. Es geht also darum, uns besser kennenzulernen. Zu Beginn des Prologs zur regula heißt es: „
damit Du durch die MĂŒhe des Gehorsams zu dem zurĂŒckkehrst, den Du durch die TrĂ€gheit des Ungehorsams verlassen hast. (RB Prol 2). Die Menschheit, zu der wir gehören, befindet sich also auf einem großen RĂŒckweg, zurĂŒck ins verlorene Paradies. Deswegen haben sich schon frĂŒh die GlĂ€ubigen zusammengeschlossen in Gemeinden und spĂ€ter in klösterlichen Gemeinschaften, um gemeinsam diesen Weg zu Gott hin zu gehen, um zum eigentlichen Ursprung zu kommen. Das gemeinsame Leben ist natĂŒrlich von zweierlei geprĂ€gt: vom gemeinsamen und vom je eigenen Streben. Um jeglichem geistlichen Egoismus vorzubeugen, wissen wir, dass wir alle Teil der großen Glaubensgemeinschaft sind. Deswegen beten wir „Vater unser“ und nicht „Mein Vater“.

Garten II

Das Kloster als ein hortus conclusus, ein verschlossener Garten, wie ihn das Hohelied beschreibt, soll den Mönchen und Nonnen helfen, zu Gott zu kommen. Nicht, um sich nur von der „Welt“ abzuschneiden, sondern um Raum und Ort zu haben, um Gott zu begegnen. Die Menschen, die in den Klöstern lebten und leben, sind keine Heiligen. Sie wurden bzw. werden es vielleicht oder hoffentlich. Doch wir nehmen uns alle mit hinein. Und das war schon immer so und ist ja auch gut so: weil wir Individuen sind. Von Gott je geliebte Einzelpersonen. Und drum kann ein Kloster schon gar kein Paradies mit Friede, Freude und Eierkuchen sein: weil dort Menschen leben, Menschen, wie Du und ich. Und so kann auch eine Gemeinde keine reine oder heilige sein, weil wir Menschen sind. Geheiligt sind wir durch die Taufe. Aber sehen wir das doch nĂŒchtern: wie oft fallen wir trotzdem? Und das ist ja kein Drama. Denn wir haben die Gewissheit, daß Gott uns wieder aufrichtet. Aufstehen mĂŒssen wir wollen – und Gott gibt das Seine dazu. Und das ist vielleicht der Garten, der am meisten schmerzt. Immer mehr zu erkennen, dass man fehlerhaft ist. Das ist der Ölgarten, der Ölberg auch des klösterlichen Lebens, der Ölberg unseres geistlichen Lebens: Wenn die Fassade bröckelt, wenn ich immer wieder neu erkennen muss, aber eigentlich vielmehr: darf – dass ich nicht so bin, wie die Menschen mich sehen oder wie ich will, dass die Menschen mich sehen. Dem australischen Trappisten Michael Casey habe den Hinweis zu verdanken, dass Jesus die PharisĂ€er, die er tadelt, hypokritai nennt, also Schauspieler, VortĂ€uscher (allein in Mt 23 sechsmal).3 Jesus warnt uns also davor, Schauspieler zu sein, die Masken tragen. Und da ist das Kloster eine wirkliche Hilfe: weil man nicht vor sich weglaufen kann. Und das ist in unser aller geistlichem Leben doch immer wieder die Versuchung: dass ich vor meiner eigenen Wahrheit, vor der Wahrheit meines Gebrochenseins davonlaufen will. Weil ich es selbst nicht wahrhaben will, aber auch, weil unsere Zeit das Fallen und Versagen oft nicht will oder duldet. Wie schnell ist man abgestempelt – und da ist unsere Zeit, sind wir oft, sehr genau: bei den Fehlern der anderen sind wir oft Experten, andere Fehler und SchwĂ€chen können die meisten von uns gut erkennen und weitererzĂ€hlen. Und bei mir? Ich will die Maske festhalten. Wie oft hĂ€lt mein Heiligenschein nur durch das Scheinheilig-Sein der HĂ€rte und Unbarmherzigkeit? Wie oft lĂ€stere und verurteile ich, um damit selber im besseren Licht dazustehen? FĂŒr Benedikt hat das geistliche Leben den Sinn, zur Ehrlichkeit zu kommen: und zwar ĂŒber mich und ĂŒber Gott. Über Gott, dass er der maßlos Barmherzige ist, wie es schon das Psalmlied zu Psalm 36 sagt: „Herr, Deine GĂŒt‘ ist unbegrenzt, sie reicht so weit der Himmel glĂ€nzt.“ Und die Wahrheit ĂŒber mich: dass auch ich der Erlösung und Heilung bedarf. Die Tutzinger Missionsbenediktinerin Sr. M. Aquinata Böckmann deutet das Psalmwort (42,8 lat.) vom Abgrund, der den anderen hervorruft, so: „Vor der GĂŒte und MajestĂ€t Gottes sehen wir uns in tieferer Weise als SĂŒnder. Die zwei AbgrĂŒnde stehen einander gegenĂŒber. Man könnte vielleicht auch sagen, ein Abgrund (unsere SĂŒndigkeit) ruft den andern (der Barmherzigkeit Gottes).“4 Und das gilt fĂŒr uns alle. Und, im wahrsten Sinne: Dank sei Gott!, mĂŒssen wir uns nicht selbst erlösen, sondern sind erlöst. Vor wenigen Wochen haben wir das wieder neu gefeiert: durch Jesu Hingabe im Leiden und seinen Ostersieg sind wir erlöst, der Schuldschein ist ausgetilgt, das Netz ist zerrissen und wir sind frei! Sich dazu durchzuringen, dass man selber nicht perfekt ist und aus dieser Erkenntnis sich auf Gott hin auszustrecken, das muss immer wieder neu erkĂ€mpft und vielleicht auch zeitweise erlitten werden. Doch ist auch in diesen Stunden Gott bei uns. Unsere Klöster sind klassischerweise um einen Garten herumgebaut, den man oft das Paradies nannte oder nennt. So sollen wir unser Ziel vor Augen haben. Wie Paulus schreibt: das Ziel vor Augen, jagen wir nach dem Siegespreis. Und das ist fĂŒr uns einmal die himmlische Ruhe, der ewige Sabbat Gottes. Doch dort sind wir noch nicht; bis dorthin bedarf es der weiteren Kultivierung unserer Landschaft, unseres geistlichen Lebens. Und da gehört das Gebet zentral dazu. Und zwar fĂŒr uns alle. Denn was ich hier sage, gilt ja nicht nur fĂŒr uns Ordensleute, sondern fĂŒr alle Getauften. Ich will hierbei nicht unverschĂ€mt oder fordernd oder vielleicht auch utopisch sein: aber ich bin davon ĂŒberzeugt, dass das regelmĂ€ĂŸige Gebet fĂŒr uns alle Anker, Hoffnung und Kraftquell ist. Ich weiß nicht, wie es hier im Hohen Norden war oder ist: doch bei uns im SĂŒden und auch in Österreich lĂ€utet es morgens, mittags und abends zum Engel des Herrn. Dass es das „GebetlĂ€uten“ ist, ist vielleicht doch noch einigen Menschen klar. Aber was und vor allem dass wir zu diesen Zeiten zum Gebet eingeladen sind, wohl kaum mehr. Insgesamt bin ich zwar leider kein sehr strukturierter Mensch, aber brauche doch Struktur. Und da helfen mir Glocken ungemein. Der Viertelstundenschlag bzw. die Turmuhr, das LĂ€uten der Glocken ist fĂŒr mich und meinen Alltag – auch außerhalb des Klosters – unglaublich wichtig. Weil es mir eine Struktur gibt. Klar, im Kloster sind die Gebetszeiten vorgegeben. Doch fĂŒr jene, die eben nicht in einem Kloster leben oder zumindest nicht dauerhaft in einer klösterlichen Gemeinschaft, braucht es – und das wage ich kĂŒhn zu postulieren, auch eine Gebetsordnung, eine Ordnung des persönlichen Betens. Um immer wieder das Herz zu Gott zu erheben. Das muss ja nicht lang sein – aber morgen und abends, und vielleicht auch zur Mitte des Tages zu beten, das kultiviert unser christliches Leben, unsere Beziehung zu Gott. Denn wie jede menschliche Freundschaft und Beziehung, so muss uns klar sein, dass auch diese Beziehung der Pflege bedarf. Der hl. Benedikt ordnet seine Gebetszeiten so, dass eigentlich alle drei Stunden (außer in der Nacht) eine lĂ€ngere oder kĂŒrzere Gebetszeit vorgesehen ist. Denn selbst fĂŒr jene, die nach seiner Regel leben, sieht er die Möglichkeit, Gott zu vergessen (vgl. Kap. 7, 10: 1. Stufe der Demut: Der Mönch hĂŒte sich davor, Gott je zu vergessen). Also selbst im Haus Gottes, als das Benedikt sein Kloster sieht, weiß er um die Möglichkeit, Gott zu vergessen. Um dem entgegenzuwirken, haben wir unsere Chorzeiten, in denen wir mit Psalmen, Hymnen und Lesungen vor Gott stehen und ihn preisen dĂŒrfen. FĂŒr Benedikt ist sein Kloster eine Schule des Herrendienstes und Haus Gottes. Eine Schule fĂŒr den Dienst des Herrn will er grĂŒnden5. Wir glauben, dass unser Gebet nicht im Nichts endet, sondern GesprĂ€ch mit einem liebenden Du ist, mit einer Person, die wir Gott nennen, der Dreifaltig-Eine. 1700 Jahre nach NizĂ€a dĂŒrfen wir uns heuer daran erinnern, wer Gott fĂŒr uns Christen ist. Wer und was Jesus Christus, der ewige Sohn Gottes, ist. Und wir glauben, dass unserem Gebet eine Wirksamkeit innewohnt. Das hat nichts mit Zauberformeln oder beschwörenden Worten zu tun, sondern mit dem festen Wissen, dass wir ein GegenĂŒber haben, wenn wir beten. Im 55. Kapitel des Propheten Jesaja heißt es: 10Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fĂ€llt / und nicht dorthin zurĂŒckkehrt, ohne die Erde zu trĂ€nken und sie zum Keimen und Sprossen zu bringen, / dass sie dem SĂ€mann Samen gibt und Brot zum Essen, 11so ist es auch mit dem Wort, / das meinen Mund verlĂ€sst: Es kehrt nicht leer zu mir zurĂŒck, / ohne zu bewirken, was ich will, / und das zu erreichen, wozu ich es ausgesandt habe. Das gilt fĂŒr ale unser Beten, aber verbĂŒrgt fĂŒr unser Beten und Betrachten des Wortes Gottes. Ich spreche hier nur von Klöstern, und zwar um der Einfachheit oder Übersichtlichkeit willen. Sonst wird das Gebiet zu unĂŒbersichtlich und ĂŒbersteigt die Vorstellungskraft; doch was ich sage, gilt, so behaupte ich, auch fĂŒr Pfarrgemeinden, ja fĂŒr jeden Menschen, der betet. Das ist mir wichtig. Die Klöster bildeten und bilden ein Netz, das sich ĂŒber unsere Gegenden und LĂ€nder legt, ja, das den gesamten Erdkreis umspannt. Ein Netz des Gebetes, des Lobpreises Gottes. Und das in erster Linie deswegen, weil wir davon ĂŒberzeugt sind, dass Gott es, aufgrund seiner Existenz, verdient, angebetet zu werden. In einer PrĂ€fation in unserem Messbuch heißt es: „unser Lobpreis kann Deine GrĂ¶ĂŸe nicht mehren, doch uns bringt er Segen und Heil.“ Das stimmt. Gott ist Gott, unabhĂ€ngig von uns. Umso grĂ¶ĂŸer ist aber das Geschenk, dass wir Gott kennen und ihn preisen dĂŒrfen. Und das ist der Ur-Grund, ja die Ur-Sache der Existenz von Klöstern. Gott zu loben und zu preisen. Damit „vom Aufgang der Sonne bis zum Untergang“ (Ps 112) der Name Gottes gelobt und gepriesen wird – das ist geistliche Landschaftspflege. Wie in einem Staffellauf setzt sich das Gebet und der Lobpreis Gottes fort, hinweg ĂŒber das ganze Erdenrund.

Garten III

Doch wandeln wir weiter zum nĂ€chsten Garten, dem Garten der Auferstehung. Im Garten ist das Grab, dorthin eilen die Frauen, um den vermeintlich toten Jesus zu finden. Dorthin eilt Maria Magdalena, da sitzen schon die Engel, dahin eilen Johannes und Petrus. Und dort ist er, der Lebende, das Leben selbst. Im Garten erhalten die Frauen die Nachricht: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Und Maria Magdalena meint, es sei der GĂ€rtner. Doch dann zeigt sich Jesus seinen verĂ€ngstigten Aposteln selbst – die TĂŒren verschlossen, die Herzen vielleicht noch mehr. Und was zeigt er ihnen? Seine Wunden. An den Wundmalen erkennen sie ihren Herrn, erkennen sie Jesus. Die sind ihm geblieben, aber verwandelt. Und Thomas soll sogar hineinfassen in diese Wunden. Und in meiner Vorstellung tut er es auch. Denn unser Gott und Erlöser ist berĂŒhrbar, er hat einen Leib wie wir, wenn auch bereits verklĂ€rt, und er trĂ€gt die Wunden. Einer der bewegendsten Momente des ganzen Jahres fĂŒr mich ist bei der Segnung der Osterkerze in der Osternacht der Satz: „Durch seine heiligen Wunden, die leuchten in Herrlichkeit, behĂŒte uns und bewahre uns Christus der Herr.“ Auch wenn sein Leid, sein wirklicher Tod, seine Passion – fĂŒr uns und zu unserem Heil, wie wir im Credo beten – durchschritten ist, bleiben ihm die Male der NĂ€gel und der Lanze. Und so ist es auch bei uns: Das Leben schlĂ€gt Wunden. Solange wir leben, werden wir verwundet und, leider, verwunden wir andere oft selbst. Doch Jesus ist gekommen, um diese Wunden zu heilen. Um Deine und meine Wunden zu heilen. Doch die Spuren davon werden bleiben. Er wischt sie nicht weg und macht sie nicht nichtig, als wĂ€ren sie nie gewesen. Denn Gott nimmt uns ernst. Das, was uns verwundet hat, was wehtut, oft jahrelang, vielleicht ein Leben lang, das prĂ€gt uns. Und das macht uns auch ein StĂŒck weit aus, das formt uns. Und Gott nimmt das Ernst. Er macht kein „Das passt schon. Das war doch nicht so schlimm.“ Nein, er selber weiß, wie schlimm es war und vielleicht ist. Und doch will er uns verwandeln, will uns heilen. Die Heiligen sind fĂŒr mich keine Schein-Heiligen, sondern waren Menschen aus Fleisch und Blut, die im Leben etwas mitgemacht haben, deren Lebenspuren man sieht. Sie sind heilig, weil sie heil geworden sind, heil durch Gott. Er, unser Schöpfer und Erlöser, nimmt uns Menschen ernst, doch er will uns aus der VerkrĂŒmmung zur Freiheit fĂŒhren, uns aufrichten wie die gebeugte Frau aus dem Evangelium, wie den GelĂ€hmten am Straßenrand. Er, der Auferstandene, will unsere Seele heilen. Neben dem offiziellen und rituellen Gebet, dem Chorgebet und der Liturgie, sieht der hl. Benedikt in seiner Regel das ganz persönliche Gebet vor. In der Fastenzeit sind es gut drei Stunden, die er fĂŒr die tĂ€gliche geistliche Lesung der Hl. Schrift und anderer geistlicher Werke seinen Mönchen (und Nonnen) freigibt. Sie sollen, so schreibt er, frei sein fĂŒr die Lesung, frei sein fĂŒr Gott (Kap. 48,4). Das Lesen der Bibel hat in der protestantischen Tradition ein viel grĂ¶ĂŸeres Gewicht als bei uns – selbst in den Klöstern. Erst in den letzten Jahrzehnten haben wir – wie auch die Kirche insgesamt – die lectio divina wieder neu entdeckt. Lectio divina – das ist die ganz persönliche Begegnung der Seele mit Gott. Denn dort setze ich mich dem Wort aus, gehe um mit dem Wort – im glĂ€ubigen Wissen, dass es eben nicht nur toter Buchstabe ist, sondern mir gewĂ€hrte Offenbarung, mir geschenkte Zeit des Gebetes in dieser anderen Form. Nicht ritualisiert, sondern im schweigenden Betrachten und Nachsinnen. Gott selbst weidet uns hier an seinem Wort und will uns zu den Quellen fĂŒhren, aus denen das Wasser des Lebens strömt, das Wasser, das unsere Seele begießt. (vgl. Offb 7,17). Jeden Tag sollen wir uns mit dem Wort Gottes beschĂ€ftigen. Aber seien wir ehrlich: tun wir das? Ist es das, was unser persönliches Leben, unser geistliches Leben nĂ€hrt? Nehmen wir tĂ€glich die Bibel zur Hand, um in ihr wie in einem Garten zu wandeln? Vom Berg aus lehrt Jesus die Menschen, bei Lukas ist es auf dem Feld: nach dem Wort Gottes zu leben, sich nach dem Willen des Vaters auszustrecken und mit ihm zu leben. „Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie einer, der sein Haus auf Fels baute“, so lĂ€sst MatthĂ€us Jesus die Bergpredigt enden. Es ist wie ein Hinweis auf Psalm 1, der das weite Feld der 150 Psalmen eröffnet: eine Anleitung, nicht nur nach, sondern mit dem Wort Gottes, mit seiner Weisung, zu leben. Das Leben auf das Fundament der Hl. Schrift zu bauen – und dieses ewige, performative Wort, wie es in Jes 55 beschrieben wird, je neu fĂŒr unser Leben und unsere Zeit zu deuten. Und ich glaube, dass auch das fĂŒr unser persönliches geistliches Leben Bedeutung hat, wie wir mit der Schrift umgehen, nein, dass wir eine lebendige Beziehung zum Wort Gottes haben, einen weiten Acker, auf dem Verschiedenes blĂŒht, von dem wir zehren können, in dem wir Freude und Trost finden, wo wir alle Regungen unseres Herzens einpflanzen können. Jesus, das fleischgewordene Worte Gottes, die menschgewordene Tora, ist jener Gute Hirte, der uns auf die grĂŒnen Auen fĂŒhren will. Mit den Worten des Neuen und Alten Bundes deckt er uns reichlich den Tisch und fĂŒllt uns reichlich den Becher.

Garten IV

Und nun, ein letzter Garten: Im letzten Kapitel der Offenbarung des Johannes heißt es: 22, „1Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; er geht vom Thron Gottes und des Lammes aus. 2Zwischen der Straße der Stadt und dem Strom, hĂŒben und drĂŒben, steht ein Baum des Lebens. Zwölfmal trĂ€gt er FrĂŒchte, jeden Monat gibt er seine Frucht; und die BlĂ€tter des Baumes dienen zur Heilung der Völker. Das ist unser Ziel: das Wiedererlangen des Paradieses, das Gott am Anfang fĂŒr uns schon bereitet hat. GelĂ€utert und gereift, mit Lebenserfahrung und verflossenen Tagen und Jahren haben wir die Zuversicht, dass dort fĂŒr uns ein Platz bereitet ist. Dann werden wir Gott schauen, wie er ist, nicht mehr durch Schatten oder einen Spiegel. Das wird sein, wenn wir befreit sind von aller SelbsttĂ€uschung, wenn wir unser Leben mit Gott und von ihm unterwiesen, hier auf Erden beendet haben werden. Der hl. Benedikt schließt seine Regel mit dem Wort pervenies – Du wirst ankommen (Kap 73,9). Das ist doch eine Verheißung, eine Zusage! FĂŒr ihn ist ganz klar, dass ein Leben mit Gott zur wahren Begegnung mit Gott fĂŒhren wird. Der hl. Ignatius von Antiochien – wir sind im 2. Jahrhundert – ruft deswegen aus: Auf zum Vater! 
 Haltet mich nicht vom Leben ab! 
 Dort angekommen werde ich Mensch sein‘.“6

Schluss

Das Jahr 2025 – 1700 Jahre nach dem Ökumenischen Konzil von NizĂ€a: das bringt uns zu unserem gemeinsamen Glaubensbekenntnis. Und dort bekennen wir gemeinsam Gott den Vater, der alles geschaffen hat, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Sichtbare Welt: das ist unsere Umwelt, das was wir eben sehen, Berge, TĂ€ler, Felder und FlĂŒsse. Und die unsichtbare Welt, jene Wirklichkeiten, die ĂŒber unser vordergrĂŒndiges Sehen hinausgehen. Zur unsichtbaren Welt, da gehört sie dazu, unsere Seele, die uns liebend anvertraut und geschenkt worden ist von Gott unserem Vater. Auch diese mĂŒssen wir hĂŒten, hegen und pflegen. Auch unser Innenleben sollen wir kultivieren. Das dĂŒrfen wir im Glauben tun, voller Hoffnung und Vertrauen und in diese Pflege all die Menschen mithineinnehmen und –legen, die uns am Herzen liegen. Aber noch mehr: all die Einsamen und Verlassenen, die Trost- und Hoffnungslosen, all die Leidenden, ja die ganze Welt, dĂŒrfen wir vor Gott tragen und sie stellvertretend vor Gott stellen. Denn jeder Mensch, weil er Mensch ist, hat diese unsterbliche, ewig geliebte Seele. Und hier HĂŒter/HĂŒterin des Bruders und der Schwester zu werden, ist unsere Mitarbeit als GĂ€rtnerin und GĂ€rtner Gottes, damit auch die Herzen der anderen neu geschaffen und verwandelt werden, dass es österliche Herzen werden, wie an jenem Morgen, als eben die Sonne aufging.