Die beste Zeit im Jahr ist mein | EG 319
Ein mir besonders liebes und vertrautes Lied, welches ich in der Sommerzeit gern im Gottesdienst und auch bei anderen Veranstaltungen singe, ist Martin Luthers Lied: „Die beste Zeit im Jahr ist mein“. Unser Reformator hat es 1538, also acht Jahre vor seinem Tod geschrieben. Der Text war ursprünglich gar nicht für ein Gemeindelied bestimmt. Sein Gedicht war viel länger als das uns heute vorliegende Lied, und Luther hat es geschrieben als eine Vorrede „auf alle guten Gesangbücher“ – es war also als Einleitung für viele verschiedene Gesangbücher gedacht, die nun, nachdem alles in die deutsche Sprache übersetzt war, reichlich gedruckt und weit verbreitet wurden. Der Text ist sozusagen eine „Theologie der Musik“.
So heißt es in der Vorrede des Buches „Lob und Preis der löblichen Kunst Musika“ von Johann Walter, dem Stadtkantor von Torgau, später Leiter der kursächsischen Hofkapelle und enger, kirchenmusikalischer Berater Luthers, folgendermaßen:
Vor allen Freuden auf Erden
Kann niemand keine feiner werden,
Denn die ich geb mir meim Singen
Und mit manchem süßen Klingen.
Hie kann nicht sein ein böser Mut,
Wo da singen Gesellen gut,
Hie bleibt kein Zorn, Zank, Haß noch Neid,
Weichen muß alles Herzeleid,
Geiz, Sorg und was sonst hart anleit,
Fährt hin mit aller Traurigkeit.
Auch ist ein jeder des wohl frei,
Daß solche Freud kein Sünde sei,
Sondern auch Gott viel baß gefällt
Denn alle Freud der ganzen Welt.
Dem Teufel ist sein Werk zerstöret
Und verhindert viel böser Mörd.
Das zeugt Davids, des Königs Tat,
Der dem Saul oft gewehret hat
Mit gutem, süßem Harfenspiel,
Dass er in großen Mord nicht fiel.
Zum göttlichen Wort und Wahrheit
Macht sie das Herz still und bereit.
Solchs hat Elisäus bekannt,
Da er den Geist durchs Harfen fand.
Die beste Zeit im Jahr ist mein,
Da singen alle Vögelein,
Himmel und Erden ist der voll,
Viel gut Gesang da lautet wohl.
Voran die liebe Nachtigall
Macht alles fröhlich überall
Mit ihrem lieblichen Gesang,
Des muß sie haben immer Dank,
Viel mehr der liebe Herregott,
Der sie also geschaffen hat,
Zu sein die rechte Sängerin,
Der Musiken ein Meisterin.
Dem singt und springt sie Tag und Nacht,
Seines Lobs sie nichts müde macht,
Den ehrt und lobt auch mein Gesang
Und sagt ihm ein ewigen Dank.
(in: „Lob und Preis der löblichen Kunst Musika“ von Johann Walther, 1538 geschrieben)
„Die beste Zeit im Jahr ist mein, da singen alle Vögelein“: damit kann Luther keine andere als die Sommerzeit meinen: endlich ist – zumindest nach den so genannten Eisheiligen – der Winter vorbei, die Sonnenstrahlen wärmen das Land und laden ein den Tag im Freien zu verbringen, im Garten zu arbeiten, im Gras zu sitzen und die Mahlzeiten außerhalb des Hauses zu genießen. Die Bäume stehen im frischen Grün, Blumen blühen in üppiger Pracht und die Früchte im Garten und auf dem Feld streben der Reife und Ernte entgegen.
Zu dieser schönen Zeit gehört die Musik, die aus den Kehlen von Mensch und Tier dringt, und die damit die Freude und die Dankbarkeit gegenüber Gott für seine gute Schöpfung zum Ausdruck bringt. „Da singen alle Vögelein“ – ja, wie lange blieben sie während der Zeit des kalten Winters, bis auf das Krächzen der Krähen, stumm. Doch jetzt erfüllt vom frühen Morgengrauen bis zum Untergang der Sonne der vielstimmige Gesang der Vögel unsere Welt. Stundenlang könnte ich dem Gesang der Vögel zuhören und dabei beobachten, wie die jung geschlüpften, farbenfrohen Meisen von Ast zu Ast hüpfen, die Amselfamilien durch das frisch gemähte Gras stapfen und die Turmfalken majestätisch ihre Bahnen durch die Luft um unseren Kirchturm ziehen.
Die singenden Vögel stehen nicht nur in diesem Lied als Beispiel für Wohlklang, ursprüngliches Leben, Fröhlichkeit und Schönheit der Schöpfung. In einem Osterlied stimmen die Vögel ein in die Freude der Auferstehung des Ostermorgens: „Es singen jetzt die Vögel all, jetzt singt und klingt die Nachtigall. Halleluja.“ (EG 110,4)
In dem Lied „Wie lieblich ist der Maien“ heißt es: „Die Vöglein hört man singen, die loben Gott mit Freud“ (EG 501,1). Und auch in dem wohl schönsten aller geistlichen Sommerlieder „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ „ergötzt die hochbegabte Nachtigall und füllt mit ihrem Schall Berg, Hügel, Tal und Felder“ (EG 503,3).
So sind wohl auch wir Menschen, als Teil der guten Schöpfung Gottes, zum Singen und zum Musizieren geboren. Denn auch wir loben mit unseren Klängen aus der Kehle oder durch ein Musikinstrument Gott und sein Werk. Es kann nicht jeder singen wie die Nachtigall, die alles fröhlich macht mit ihrem lieblichen Gesang. Es muss auch Krähen geben, die doch auch ihr Bestes geben, auch wenn es nur ein Krächzen ist.
Es muss nicht immer ein Wohlklang sein: der oder die eine kann es besser, der oder die andere weniger gut. Gott ist wohl eher wichtig, dass es von Herzen kommt, Herzlichkeit ausstrahlt und andere berührt. Nichts kann das Innere in uns besser nach außen transportieren, als die Musik.
Und neben dem fröhlichen Gesang gibt es ja auch den traurigen: die Wehklage, das Weinen: „An den Wassern Babels saßen wir und weinten“ – so heißt es vom Volk Gottes in Babylon im Psalm 137. Sie weinten und klagten damit zu Gott. Und in jeder christlichen Trauerfeier wird gesungen, weil die tröstliche Zuneigung unseres Gottes oft am besten zum Ausdruck kommt, wenn wir etwa singen: „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt, der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt“ (EG 361, 1). Musik ist eben oft auch eine ganz besondere Form des Betens, der vertrauten Zwiesprache mit Gott.
In seiner „Vorrede auf alle guten Gesangbücher“ erinnert Luther an zwei Gestalten des Alten Testaments, für die die Musik ganz wichtig war, und die mithilfe der Musik viel erreichen konnten: der junge David vertreibt mit seinem Harfenspiel die schwermütigen und bösen Gedanken seines Königs Saul:
„Das zeugt Davids, des Königs Tat,
Der dem Saul oft gewehret hat
Mit gutem, süßem Harfenspiel,
Dass er in großen Mord nicht fiel.“
Auf Bildern wird David deshalb häufig mit einer Harfe dargestellt, so in ganz besonders schöner Weise im mittelalterlichen Kirchenfenster der Klosterkirche Amelungsborn.
Weniger bekannt ist, dass der Prophet Elisa im Saitenspiel Gottes Verheißung für sein Volk erfuhr und weiter geben konnte: in einer Situation äußerster Bedrängnis der Könige von Juda, Israel und Edom bittet Elisa um einen Spielmann. Und es heißt: „Als der Spielmann auf den Saiten spielte, kam die Hand des Herrn auf Elisa und er sprach (zu ihm)“. (2. Kge. 3, 15ff). Über Elisa und das Saitenspiel wurde den drei Königen die Rettung durch Gottes Heilshandeln offenbart. Luther schreibt:
„Zum göttlichen Wort und Wahrheit
Macht sie das Herz still und bereit.
Solchs hat Elisäus bekannt,
Da er den Geist durchs Harfen fand.“
So haben wir der Musik viel zu verdanken: zunächst dem Gesang aus den Kehlen der Nachtigall und vieler anderer Vögel. Um wie viel mehr haben wir dann Gott zu danken, der sie alle so schön und lieblich geschaffen hat – als Meister und Meisterinnen der Musik!
So sollen auch unser Gesang und unsere Musik unsern Schöpfer loben, sein Heil verkündigen und uns mit ihm in einen innigen, vertrauten Dialog bringen. Martin Luther sagt: „Die edle Musika ist nach Gottes Wort der höchste Schatz auf Erden. Sie regiert alle Gedanken, Sinn, Herz und Mut. Willst du einen Betrübten fröhlich machen, einen frechen, wilden Menschen zähmen, dass er gelinde werde, einem zaghaftigen Mut machen, einen hoffärtigen demütigen – was kann besser dazu dienen denn diese hohe, teure, werte und edle Kunst?“ (Encomion musices, 1538)
Mögen auch wir diesen Schatz ergreifen, damit wir fröhlich loben, getröstet klagen, zuversichtlich hoffen – und ermutigt unser Leben und unsere Welt gestalten.
Martin Lechler, Sup. i. R.
Prior des Klosters Amelungsborn
Foto: Albrecht Keller
Kloster Arnsburg 2018
Kloster Arnsburg in der Wetterau feiert in diesem Jahr Jubiläum: Vor 850 Jahren, am 16. Juli 1174, ist es von Kloster Eberbach als drittes Tochterkloster gegründet worden. Die Gemeinschaft Evangelischer Zisterzienser-Erben gratuliert!