Wer unentwegt zum Himmel starrt …

Christi Himmelfahrt – schweizerisch kurz und bündig „Auffahrt“ – ist Feiertag und damit Gottesdiensttag. Gottesdienste sind an diesem Tag allerdings eher schlecht besucht – zumindest bei uns in der Schweiz. Es gilt: „Auffahrt ist Ausfahrt“. Daran knüpfen Kirchengemeinden gerne an. Sie verlegen ihre Gottesdienste ins Freie, wenn möglich (mit Bezug auf Apostelgeschichte 1, 12) auf einen Berg. Auf ihm ist man dem Himmel ein wenig näher, und um den Himmel geht es schliesslich an diesem Tag.

Ob man damit allerdings auch der Geschichte näher ist, die zu diesem Tag gehört, dieser eigenartigen Geschichte, die erzählt, dass der gekreuzigte Jesus, von seinen Freunden nach seinem Tod mehrmals gesehen, ihnen plötzlich von einer Wolke weggenommen?

Vielleicht. Vielleicht entdeckt man wirklich auf einem Berg mehr von dieser Geschichte als sonst wo. Vielleicht merkt man gerade auf einem Berg, dass es in dieser Geschichte gar nicht um Wolken und Himmel und dann auch um eine „Himmelfahrt“ geht. Es geht nicht um die Faszination einiger Weniger durch ein ausserordentliches Ereignis. Es geht nicht um ihr verständnisloses Hinterherschauen, nicht um diesen starren Blick nach Oben. Ganz im Gegenteil: Der wird ihnen verwehrt: „Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und blickt zum Himmel?“. Stattdessen wird ihr Blick in Weite gelenkt. Um sie geht es in der Geschichte, um alle Himmelsrichtungen, um einen Blick, der bis zum Horizont, gar durch ihn hindurch zu reichen vermag: „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis ans Ende der Erde“.

Der weite Blick geht im Alltag gerne verloren. Man ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, hat genug mit dem unmittelbar vor Augen Liegenden zu tun, starrt auf manches, das verloren zu gehen droht, fürchtet Veränderung, das Neue. „Ihr Männer und ebenso Ihr Frauen aus Galiläa, was steht ihr da und starrt zum Himmel?“

Wer unentwegt zum Himmel starrt, bekommt Nackenstarre. Wer unentwegt den Blick nach unten senkt, verkrampft sich ebenso. Wer hingegen in Weite und damit um sich schaut, bleibt beweglich. Das tut dem Kopf gut, dem Hals, dem Nacken, dem ganzen Körper, das tut überhaupt gut. Der weite Blick hat etwas Befreiendes. Vieles ist zu entdecken. Manchmal sieht man gar bis an die Enden der Erde. Dieser Blick ist phantastisch und anstrengend zugleich. Er wird nicht selten zur Herausforderung. Er verunsichert. Sichtweisen sind unterschiedlich. Auseinandersetzungen gibt es und mit ihnen ein immer neues ernsthaftes Ringen um Entscheidungen, wie es zur Zeit in vielen Zusammenhängen eindrücklich, manchmal auch erschreckend zu erleben ist. Selten gibt es ein einfaches Richtig oder Falsch, selten ein eindeutiges Gut oder Böse, selten haben nur die einen Recht und die anderen sind im Unrecht. Immer werden Fragen, Ratlosigkeit und Enttäuschung bleiben, immer wieder werden Einschätzungen zu korrigieren sein, immer braucht es ein sorgfältiges Hinsehen und Hinhören, immer auch das mutige Ausprobieren neuer Wege.

Das Fest Christi Himmelfahrt mit seiner besonderen Botschaft ermutigt zu all dem. Was mit diesem Jesus aus Nazareth in Galiläa und Judäa begonnen hat, will in die Weite der Welt getragen werden, ist in ihr zu finden. Ihr Männer und Frauen, was steht ihr da und starrt auf das, was ihr meint verloren zu haben. Schaut euch um, schaut genau hin. Nicht das, was ihr da unmittelbar vor Augen habt, muss das letzte Wort behalten. Gott hat viel, hat anderes mit dieser Welt und mit euch vor. Das ist die Botschaft des in den Himmel aufgenommenen Christus. Also macht euch unter der Weite des Himmels auf den Weg, damit „Auffahrt“ wirklich zur Ausfahrt wird.

Dorothea Wiehmann Giezendanner, Ascona