Gottes Feuer brennt

Weit jenseits der Grenzen des bewohnten Landes wird Mose hinausgeführt. Dort, wo alles unwirklich scheint, widerfährt ihm eine Gottesbegegnung, die seinem Leben und dem Leben seines Volkes eine entscheidende Wendung gibt. Mose bekommt Auftrag, sein Volk in die Freiheit zu führen.

Diese Gottesbegegnung geschieht in einer erstaunlichen Weise. Nicht von Angesicht zu Angesicht. Mose entdeckt in der unwirklichen Steppe einen Dornbusch, der in Flammen steht. Ein Busch, der brennt und doch nicht verbrennt. Gottes Bote, Gottes Stimme, Gottes Gegenwart im Feuer. Hell, lodernd, anziehend, gefährlich.

Das Feuer spielt in der Kulturgeschichte der Menschen eine wichtige Rolle. Es war und ist eine gefährliche Macht. Menschen der Urzeit erlebten das gleißende Licht der Blitze als Bedrohung, in manchen Kulturen als göttliche Bedrohung, Feuer fiel vom Himmel. Brände wurden entfacht, die Leben bedrohten und vernichteten. Die Fähigkeit,  Feuer zu entzünden und zu beherrschen war ein großer Fortschritt für die Menschheit. Und blieb doch gefährlich.

Feuer ist anziehend und doch hält man sich besser von ihm fern. Das große Osterfeuer fasziniert Menschen, der Feuer im Kamin verbreitet Wohlbefinden, der Schein der brennenden Kerzen schafft Atmosphäre. Zugleich entstehen immer wieder Brände, in denen Menschen zu Tode kommen. Flächenbrände bedrohen ganze Landschaften. Und zu der Erinnerung an die letzten Kriegstage vor 70 Jahren gehören die verheerenden Feuerstürme in den Städten. Und die größte von Menschen ausgehende Bedrohung des Menschen ist das atomare Feuer.

Anziehend und gefährlich ist das Feuer, es kann wärmen und verbrennen, ist lebensnotwendig und lebensbedrohend.

Feuer und Flamme – sie begegnen uns auch in der Pfingstgeschichte. Viele Menschen waren in Jerusalem zusammen, aus aller Herren Länder. Unter ihnen auch die Zeuginnen und Zeugen der Auferstehung Jesu. Noch verunsichert, noch ohne Wissen, wie es weitergehen würde. Fünfzig Tage nach Ostern war noch offen, wie die Sache Jesu weitergehen konnte.

Und dann, während des Festes in Jerusalem, diese unerwarteten Phänomene: ein Brausen vom Himmel, ein heftiger Sturm. Und über und auf den Menschen werden Feuerflammen sichtbar. Und die vom Geist Erfüllten fangen an zu reden, zu verkündigen. Die Menschen aus aller Herren Länder verstehen sie, die babylonische Verwirrung der Sprachen hat ein Ende.

Äußerlich sichtbar durch die Feuerflammen über ihnen, ergriffen von der Macht des Geistes Gottes, werden die Zeuginnen und Zeugen der Auferstehung zu Botschaftern des neuen Lebens. Alle Welt soll es erfahren, in allen Sprachen erklingt es: Christus ist auferstanden! Für diese gute Nachricht waren sie „Feuer und Flamme“.

Dieses Pfingstereignis in Jerusalem feiern die christlichen Kirchen als die Geburtsstunde der einen, weltumspannenden und universalen Kirche Jesu Christi. Von da an und von dort aus wurde das Evangelium durch die Jahrhunderte in die Länder der damals bekannten Welt getragen. So ist es auch zu uns gekommen und von uns aus weitergegangen. Längst nicht immer nur so, wie es der Botschaft von der Liebe und der Versöhnung angemessen gewesen wäre. Die Geschichte der Missionierung der so genannten Heiden ist auch eine Geschichte von Gewalt und Machtmissbrauch.

Aber es ist – Gott sei Dank – auch eine Geschichte der Kirche Jesu Christi, die Barmherzigkeit und Versöhnung predigt und lebt, die an der Seite der Unterdrückten steht und die Widerstand leistet gegen Unrecht und Diktatur, gegen Verletzungen von Menschenwürde und Menschenrecht. Angetrieben, angefacht von der Geisteskraft Gottes, die Menschen entzündet und motiviert.

Die Geisteskraft Gottes wurde zu Pfingsten sichtbar als Feuer und Flamme. Sie tröstete, schenkte Vergewisserung, motivierte, wurde zur Antriebskraft für Christinnen und Christen. Sie bewahrte davor, dass die heilmachende und befreiende Botschaft des Evangeliums erstarrte und verdorrte.

Aber wie das Feuer anziehend und gefährlich ist, so kann auch die Geisteskraft Gottes gefährlich werden. Sie verhindert, dass wir uns einrichten im Bestehenden. Sie bringt die Kirche in Bewegung, dass wir nicht zu einem Traditionsverein werden, nur zurückschauen und uns nach vermeintlich guten und sicheren alten Zeiten sehnen. Die Geisteskraft Gottes wirbelt manchmal das Vertraute durcheinander, verkehrt oben und unten, lässt Gott sichtbar werden an Orten, wo wir ihn nie vermutet hätten. Die Geisteskraft Gottes macht Verdorrtes wieder lebendig und sprengt Versteinertes auf. Ja, sie hat revolutionäre Kraft, die auch Angst machen kann.

Wenn wir singen „O Heilger Geist bereite ein Pfingstfest nah und fern“, dann müssen – und dürfen – wir damit rechnen, dass er uns und andere inspiriert zu schöpferischem, kreativen Handeln. Und das kann uns aus dem Gewohnten und Vertrauen herausführen. Diesen neuen Wegen für uns selbst und für unsere Kirche zu vertrauen, dazu will uns die Geisteskraft Gottes anstiften.

Arend de Vries

Geistlicher Vizepräsident i.R.

Prior des Klosters Loccum

Das Bild des Architekten und Malers Eugen Jung ist dem Buch „gottes feuer brennt“, erschienen 2014 im Lutherischen Verlagshaus Hannover entnommen.