„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Joh 6,37)
Zur Jahreslosung 2022
Was für eine grandiose Jahreslosung! Jesus Christus spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ (Joh 6,37) Was für eine Verheißung! Was für ein Versprechen! Was für eine Zusage! Sie merken, ich bin ganz angetan, begeistert. Kein wenn…, dann… .
Kein: Wenn du getauft bist, dann… Wenn du dich hast konfirmieren lassen, dann… Wenn du deine Kirchensteuer zahlst, dann… Wenn du deinem geistlichen Leben eine Form gegeben hast, dann … Die Jahreslosung 2022 trägt einen produktiv-kritischen Impuls. Sie wirkt wie ein Stachel gegen institutionell-kirchlich wohl begründete, aber theologisch schwer zu belegende Glaubenseinschränkungen. Sie gibt dem Hilferuf mehr Würde als dem Eintrag im Standesamtsregister. Vorbehaltlos angenommen. So ist es bei Jesus. Wer und wie du auch bist: Ich werde dich nicht zurückweisen. Ich werde dir keine neue Kränkung zufügen. Ich werde dich nicht krank machen. Ich werde dich heilen. Meine Liebe kommt ohne deine Vor- und Gegenleistung aus.
Nun ja, jede Jahreslosung ist ein Textschnipsel. Ist aus dem Zusammenhang gerissen. Und gerade das macht sie so attraktiv. Denn die Beschreibung „aus dem Zusammenhang gerissen“ gilt für unendlich viele Biografien. Oder zumindest aktuelle Erfahrungen. Wer oder was bleibt, wenn die Zusammenhänge zerreißen? In Stücke gehen? Gibt es irgendjemanden, der seine Zuwendung zu uns gerade nicht von unserem Wohlverhalten abhängig macht? Ja, gibt es: Jesus von Nazareth.
Es wäre schon viel, wenn wir als Kirche oder Kirchenmenschen diese schlichte Wahrheit weitersagten. Dass mit der Anrufung Jesu Christi die Heilung beginnt. Und sich nicht die Kränkung fortsetzt.
Ich weiß, das kann auch etwas Billiges haben. Das kann wie Wort- oder Namensmagie klingen, die ohne Christus funktionieren soll. Das kann gründlich schief gehen. Ruf „Kyrie eleison“ – und schon geht’s dir besser. Ruf: „Christus hilf mir!“ – und schon verwandelt sich dein Schicksal zu deinen Gunsten und die Welt in ein Paradies. So ist es doch nicht.
Wer Autorin oder Autor dieser Verheißung sein will, der muss sich auch auf eigene Glaubenserfahrungen hin befragen lassen. Der und die werden auch zugeben, dass mitunter auf den Ruf nach Christusnähe kein Echo zu vernehmen war. Oder zumindest: Dass Christus uns in einer Weise nicht zurückgewiesen hat, für die uns gerade die Sprachform fehlt. Aber ich bin sicher, dass Christus auch die Sprachlosen gebrauchen kann, um Menschen zu helfen. Wir wissen nicht, wie er hilft. Wir wissen nur, dass er uns hilft. Dass er nicht zurückweist, sondern seine Arme ausbreitet.
Verrückt, oder? Aber lieber wollen wir unter den Sprachlosen und Verrückten gefunden werden, die auf diese Verheißung vertrauen als unter den Resignierten, die vor ihren eigenen Einsichten, ihrer Ratlosigkeit und ihrer kleinen Kraft mutlos werden.
Was für eine grandiose Jahreslosung! Christus spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Was für eine Verheißung! Was für ein Versprechen! Was für eine Zusage!
Eckhard Gorka
Abt des Klosters Amelungsborn