Ein Blatt der Hoffnung fällt in unsere Herzen

Nun ist sie wieder da, die Zeit der bunten Blätter. Bei Spaziergängen erfreuen uns die farbenfrohen, raschelnden Blätter. Da hält uns auch der kälter werdende Wind nicht davon ab, die milde Sonne des Herbstes und das Farbenspiel der Natur im Freien auf uns wirken zu lassen. Mir kommen in dieser zeit altbekannte Gedichte in den Sinn. An eines möchte ich Sie mit diesen Zeilen erinnern:

„Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“

Dieses Gedicht von Rainer Maria Rilke spricht aus, was Menschen in dieser Jahreszeit verstärkt empfinden und bedenken. Der Herbst ist ein Sinnbild für Vergänglichkeit: „Wir alle fallen!“

Diese Wahrheit wird von uns Christen besonders im November bedacht. Wir erinnern uns an die Opfer der Kriege und gedenken der Verstorbenen. Dieses Erinnern ist schmerzhaft und fordert Leid und Tränen.

Doch das Gedicht weist auch auf den Einen hin, der das Fallen „Unendlich sanft in seinen Händen hält“. Wer einmal beobachtet hat, wie sanft sich ein Blatt vom Zweig löst und wie sachte es der Erde zu schwebt, der wird nicht anders können, darin auch ein Sinnbild für Getragen- und Gehaltenwerden zu sehen. Es ist ein Hinweis auf Gott, der uns Menschen auch im Sterben nicht aus seinen Händen fallen lässt. Dieses Vertrauen auf Gott ermöglicht uns, den Gedanken an Tod und Vergänglichkeit auszuhalten.

Nicht der Herbst, das Loslassen und Sterben ist das Letzte, sondern es folgen ihm Neuerwachen und Auferstehung. Mir ist manchmal so, als wolle der Herbst mit seiner Farbenpracht auf das unbeschreiblich Schöne der Ewigkeit hinweisen. Ich bin dankbar, dass die nun dunkel werdenden Tage durch farbenfrohes Blättertreiben zu tröstlichen Gedanken anleiten. Wenn wir uns Zeit zum Nachdenken über Leben und Sterben nehmen, dann könnte es sein, dass hier und da ein zartes Blatt der Hoffnung in unsere Herzen fällt.

Dr. Detlef Klahr
Regionalbischof i. R.
30916 Isernhagen